Nachdem bereits mehrfach wurde an dieser Stelle schon über das digitale Semester aus Sicht der Studierenden berichtet wurde, schrieb im letzten Beitrag „Das digitale Semester: Aus Sicht eines Dozenten – Teil I“ ein Dozent über seine herausfordernde Situation. Einige Dinge blieben ungelöst: Wie kann Gruppenarbeit organisiert werden? Wieviel „Eigeninitiative“ kann angesichts technischer Hürden erwartet werden? Welche Stoffmenge ist angemessen? Wie ist und bleibt eine Videokonferenz „interessant“? Diese Punkte sollen nun näher betrachtet werden:
Das digitale Semester: Aus Sicht eines Dozenten – Teil II [Gastbeitrag:]
Während sich mein letzter Beitrag um die Rahmenbedingungen der digitalen Lehre drehte, möchte ich mich im Folgenden um den Inhalt der Lehrveranstaltungen und die Probleme im Remote Unterricht.
Die Studierenden
Würden Sie sich jeden Tag graue Kacheln in Ihrem Arbeitszimmer anschauen wollen? Oder mit Ihnen reden? Nein? Warum ist das ausgerechnet bei Studierenden in Lehrveranstaltungen so populär?
Verstehen Sie mich nicht falsch, ausgehend von meinen Überlegungen zum Hintergrund kann es gute Gründe geben, die Kamera nicht immer anzuschalten. Ich finde aber, eine Lehrveranstaltung ist eine Art institutionalisierte Form des Feedback-Gebens. Meist von der Lehrperson an die Lernenden, aber auch die Lernenden untereinander oder diese gegenüber der Lehrperson. Das Ausschalten der Kamera ist dabei die Botschaft: Ich möchte kein Feedback erhalten und auch keines geben. Ich möchte berieselt werden.
Lernen, vor allem, wenn es Spaß machen soll, kann aber kein „Berieseln“ sein. „Berieseln“ geht als Hintergrundgeräusch, wenn ich mehrere Sachen gleichzeitig machen will – Bügeln und Netflixen zum Beispiel. Wer etwas lernen will, dessen Konzentration sollte auch nahezu ungeteilt der Beschäftigung mit dem Lernstoff gelten. Als Lehrperson vermag dieser Schluss niemals zwingend zu ziehen sein (dass also aus der ausgeschalteten Kamera mangelndes Interesse an der Veranstaltung folgt), trotzdem verbleibt immer ein etwas schales Gefühl.
Mein Appell daher an alle Studierenden: Schalten Sie gerne wieder einmal die Kamera ein. Ich persönlich zwinge dazu niemanden, bettle aber auch nicht darum. Es tut gut, neben der sozialen Isolation wieder einmal in bekannte Gesichter zu blicken. Oder auch zu beobachten, wie die Katze sich gerade über die Tastatur hermacht…
Schlussendlich geht es um die Lernenden und deren Lernerfolg. Angesichts dessen verwundert auch einen erfahrenen Dozierenden wie mich die Stille manchmal.
Ernährung
Ich habe meine Ernährung an Veranstaltungstagen auf Obstsalat umgestellt. Dieser besteht vollständig aus Trauben. Die fermentiert sind…
Naja, ganz so schlimm ist das Daydrinking nicht, aber Klausuren sollen ja auch korrigiert werden 😉 Ein Getränk in der Veranstaltung zu haben ist aber definitiv Pflicht – ich bevorzuge Kaffee und Wasser. Knuspern ist nur bei ausgeschaltetem Mikro erlaubt.
A propos Klausuren…
Der digitale Leistungsnachweis
Es ist wahrlich erschreckend, welche Gleichgültigkeit seitens der Organisatoren bezüglich Leistungsnachweisen an den Tag gelegt wird. Vieles wird den Dozierenden überlassen („Die Klausur ist digital, technische Hilfen gibt es nicht, korrigieren müssen Sie eh selber.“) und wenn eine gewisse Infrastruktur an die Hand gegeben wird, ist das nicht viel mehr als ein riesiger Eingriff in die Privatsphäre (Kameras in alle Ecken des Raumes? Am Ende gar mit Aufzeichnung? Eine App für die Leistungsbewertung installieren, welches technisch alle anderen Apps blockt und Zugriffe loggt?).
Ich für meinen Teil halte dieses Problem der digitalen (Fern-)Lehre ehrlich gesagt für unlösbar. Ich halte es für wünschenswert, wenn digitale Leistungsnachweise gefordert werden (ich als Dozierender insbesondere keine Handschriften mehr lesen muss) und auch der „Schein“ digital ist (ich also nicht mehr 100 Leistungsnachweise auf Papier unterschreiben muss). Ich denke aber nicht, dass die Prüfung selbst aus der Ferne stattfinden sollte. Selbst diejenigen Institutionen, die nahezu ausschließlich auch zuvor Fernlehre angeboten haben (SGD, Diploma, Fern-Uni Hagen, um nur einige zu nennen), haben auch Stützpunkte, in denen Klausuren geschrieben werden.
Ich bin ehrlich gesagt weder bereit, meinen Studis diese Gängelei-Apps anzutun, noch Klausuren zu stellen, die derart vollgepackt sind, dass man sie selbst ohne ausgiebigen googlen zeitlich nicht lösen kann. Auch Multiple-Choice oder ähnliche Spielereien halte ich für verfehlt, da die Prüfungsleistung auch eine gewisse Abwägung darstellen sollte. Darüber hinaus will ich das Auswendiglernen von Wissen nicht abprüfen, sondern höchstens das Anwenden. Manchmal auch das Neu-Denken. Oder das Kreative. Oder, oder, oder…
Insgesamt bekomme ich für meine Technik und Herangehensweise viel Lob, vor allem, wenn man sich meine Kolleginnen und Kollegen ansehen würde.
Digitale Lehre – eine einzige Sonnenseite?
Nun klingt das bei mir alles wie die Sonnenseite des digitalen Lehrbetriebs. So manche Lehrinstitute hat die Pandemie aber eiskalt erwischt. Einige haben de facto den Lehrbetrieb eingestellt und lehren das Nötigste, mit vielen Selbstlerneinheiten und kaum Lernstandskontrolle.
Aber wie kann man mit diesen Herausforderungen umgehen?.
Jammern.
Ich kann nicht mehr zählen, wie viele Lehrpersonen ich schon habe jammern hören, wie schlimm das alles sei. Ja, ich vermisse meine Leute auch. Ja, auch ich sehe privat niemanden. Und ja, wenn dieser Unfug vorbei ist, umarme ich jeden einzelnen meiner Teilnehmer persönlich. Okay, so weit werde ich wohl nicht gehen. Trotzdem scheint die Pandemie der kollektiven Reform-Müdigkeit des Lehrbetriebs keinen Garaus gemacht zu haben. Vielmehr scheint vor allem bei etablierten älteren Kolleg*innen die Ansicht vorzuherrschen, dass die Situation ohnehin nur vorübergehend sei. Ich prognostiziere mal frech: Nein, wird es nicht.
Keinerlei Gedanken um Technik oder Didaktik machen
Analog zur Argumentation am Ende versuchen die allermeisten Lehrpersonen, didaktisch genau so zu agieren, wie im Präsenzbetrieb. Überraschung: Das funktioniert so nicht.
Ich gebe zu, dass ich auch aus Unsicherheit darüber, was ich meinen Teilnehmenden so zumuten kann, auf den „Notbetrieb“ Frontalunterricht umschwenkte, und mir erst im Laufe der Zeit Gedanken machte, wie es anstatt sinnvollerweise funktionieren kann. Ich habe dazu die Beteiligten auch in Form einer Lehrevaluation ins Boot geholt und mir viele Ideen abgeschaut. Auch Lehrende sollten sich fort- und weiterbilden.
Null Investitionen
Okay, es muss nicht die High-End-4k-60fps-Superkamera sein, mit der man sich fragen lassen muss, ob man hauptberuflich auf anderen Videoportalen tätig sei. Aber wie körnig kann ein Dozierender aussehen? Wie hohl kann er/sie klingen? Mein Equipment, oder jedenfalls das, was ich speziell für die Fernlehre sinnvollerweise neu gekauft habe und nutze, hat knapp 300 Euro gekostet. Das ist für jemanden, der mit seinen Lehrveranstaltungen Geld verdient, nun wirklich nicht zuviel verlangt. Und meist kann dies ohne Abschreibung über mehrere Jahre von der Steuer abgesetzt werden.
Fazit
Den zweifellos gegebenen Vorteilen der Fernlehre stehen damit einige ganz gravierende Nachteile gegenüber, die nur dann zu lösen sind, wenn sich alle Beteiligten an einem Ziel orientieren:
Die beste Lernmöglichkeit für die Lernenden zu bieten.
Damit zwangsläufig einhergehend dürfte auch die beste Lehrmöglichkeit für die Dozierenden folgen.